Intervention in Syrien: Sollten wir eingestehen, dass der Krieg gegen das syrische Regime verloren ist?
By Nikolaos van Dam –
Vortrag gehalten am 7 März 2018 am Bruno Kreisky Forum für Internationalen Dialog, Wien
Veröffentlicht am 8 März auf Syria Comment
Übersetzung der Rede in Englisch by Dr. Ann Vogel, a German sociologist, who did her Ph.D. at University in
Washington, Seattle. (The original English version is here)
Hafez al-Assad (above) standing on the wing of a Fiat G.46-4B with fellow cadets at the Syrian AF Academy outside Aleppo.
Heute, am 7. März 2018, ist es genau 55 Jahre her, dass eine Gruppe junger syrischer Offiziere der Baath-Partei heimlich ihre bewaffneten Unterstützer mobilisierte und einen Coup gegen das damals regierende syrische Regime durchführte. Schon am nächsten Tag, dem 8. März 1963, hatten sie Erfolg und konnten sich anschließend über ein halbes Jahrhundert an der Macht halten.
Wie war es für diese Baathisten möglich, solange an der Macht zu sein?
Zunächst einmal besaßen sie eine gut organisierte, geheime militärische Organisation ideologisch motivierter Mitstreiter, die zueinander loyal waren – wenigstens auf eine bestimmte Zeit. Zweitens hatten viele von ihnen einen gemeinsamen Hintergrund, nämlich ländliche Abstammung und als Mitglieder von arabisch sprachigen religiösen Minderheiten, insbesondere Alawiten, Drusen und Ismailiten. Viele dieser Minderheiten kannten soziale und religiöse Diskriminierung durch die urbane Sunni-Mehrheit. Ihre gemeinsame Herkunft hinsichtlich Stamm, Sekte [im Sinne einer religiösen Sondergemeinschaft—Übersetz.] und Region schuf die Basis für Vertrautheit, Loyalität und Vertrauen. Natürlich gab es interne Rivalitäten, aber nachdem diese durch eine Serie interner Säuberungen ausgefochten waren, gab es letztlich nur noch eine militärische Faktion, die im Jahr 1970 ausgesprochen mächtig wurde, um dann das Land für drei Jahrzehnte zu regieren. Dies war die Faktion des alawitischen Generals Hafiz al-Assad.
Viele dieser früheren Baath-Offiziere sind inzwischen in ihren militärischen Positionen von einer jüngeren Generation alawitischer Offiziere abgelöst worden, wie auch ihre Verbündeten Nachfolger haben. Baschar al-Assad hat als zweiter alawitischer Präsident Syriens im Jahr 2000 die Nachfolge seines Vaters Hafiz al-Assad angetreten.
Anstatt allein zu agieren, formten die Baathisten für ihren Coup am 8. März 1963 eine Allianz mit weiterer militärischer Opposition wie z.B. den Nasseristen. Dieses Bündnis war von kurzer Dauer, weil das Baath-Militär mächtig genug war allein fortzufahren – ohne ihre sogenannten militärischen Verbündeten, von denen sie einen nach dem anderen eliminierten. Sie ermunterten sogar die Nasseristen zu einem Coup gegen die Baathisten, also sich selbst, um sie militärisch zu erledigen. Als Resultat konnten 1963 die Baath-Militärs ihre Macht monopolisieren.
Die Strategie der auf kurze Zeit angelegten Allianzen, mit dem Ziel die Macht zu monopolisieren, ist bis zum heutigen Tag zu verschiedenen Gelegenheiten wiederholt worden. Dies gilt auch für den Syrien-Krieg, der im Jahr 2011 begann. Hier war es nicht immer wichtig für die Baath-Herrscher, ob sie Bündnisse mit Gruppen bzw. Parteien eingingen, die ihnen ideologisch gar nicht nahe standen oder sogar Parteien, die in der Tat ihre Feinde waren, solange sie ihr hauptsächliches Ziel erreichen konnten: an der Macht bleiben und diese monopolisieren. Das Ziel rechtfertigte die Mittel.
Jeder Bedrohung gegen das Regime durch Rivalen der Baath-Partei oder Andere, egal ob imaginär oder wirklich, wurde in rücksichtsloser Weise begegnet: Gefängnis, Folter, Mord, Attentate, sogenannte ‘Selbstmorde mit mehr als einer Kugel’ usw.
Weil unter Hafiz und Baschar al-Assad Syrien von nur einer übermächtigen Militärfaktion dominiert wurde, die einen sehr zuverlässigen und effektiven Sicherheitsapparat (effektiv im Sinne von extremer Repression) hatte, war das Land seit seiner Unabhängigkeit intern politisch stabiler und kontinuierlicher als je zuvor. Aber die Tatsache, dass diese Kontinuität ohne politische Reform oder beträchtliche Veränderung der Komposition der herrschenden politischen und militärischen Elite über einen Zeitraum von über vier Jahrzehnten bestand, bedeutete eben auch, Chance starker Diskontinuität und Spaltung des Regimes, sobald die langjährige politische und militärische Führung ernsthaft bedroht sein würde. Diese sogenannte Stabilität kam zu einem abrupten Ende mit dem Beginn der Syrischen Revolution im März 2011.
Was soll man für nicht-Baath-Gegner fürchten, wenn schon Rivalen innerhalb der Baath-Partei im System des Regimes das schlimmste Schicksal erfuhren? Oder auch für radikale islamistische Gegner, die nicht nur die Baath-Herrschaft beseitigen, sondern auch die prominente Stellung der Alawiten innerhalb und außerhalb des Regimes beenden wollten? Viele radikale Islamisten sehen Alawiten als Häretiker, die man einer Fatwa von Ibn Taimīya – einem Sunni-Gelehrten aus dem 12. Jahrhundert – folgend, morden durfte. Diese Ansicht wurde nicht nur von Mitgliedern des Islamischen Staates (IS bzw. Da’esh), die im Jahr 2013 nach Syrien kamen und größere Teile des Landes besetzten, sondern schon lange vorher von einem geheim geformten extremistischen Ableger der Muslimbrüderschaft, die während der späten 1970er Jahre und der frühen 1980er eine ganze Reihe von Morden an Alawiten (mit und ohne Baath-Zugehörigkeit) in Syrien ausgeführt hatten. Diese radikalen Islamisten versuchten, eine Polarisierung innerhalb der syrischen Gesellschaft entlang religiösen Gemeinschaftslinien, insbesondere zwischen Sunni und Alawiten zu provozieren, hofften sie doch, dass sie damit das alawitisch dominierte Baath-Regime überwerfen würden, denn die Alawiten formen nur eine Minderheit von ca. elf Prozent der syrischen Bevölkerung, während die Sunni die größere Mehrheit stellen. Während die syrische Armee der Mehrheit nach Sunni ist, eine Folge der Wehrpflicht und dadurch die Komposition der Bevölkerung widerspiegelnd, reflektierten die Kalkulationen [der radikalen Islamisten] nicht, dass die militärischen Schlüsselpositionen und -einheiten unter voller Kontrolle von alawitischen Offizieren waren, was letztlich ausschlaggebend war. So hatten die radikalen Islamisten keine Chance gegen das Regime und ihre Aktionen endeten mit dem bekannten Blutbad von Hama in 1982. Nicht nur wurde die Organisation der Muslimbruderschaft rücksichtslos eliminiert, sondern auch viele Menschen in Hama, die nicht involviert waren. Was die Sektenbeziehungen angeht, war dies ein irreversibler Wendepunkt in der syrischen Geschichte. Die Hama-Massaker konstituierten ein hemmungsloses Modell von Unterdrückung, das in der Syrischen Revolution von 2011 wiederholt angewendet wurde – diesmal jedoch nicht nur in einer Stadt, sondern über das Land verteilt.
Von einer brutalen Diktatur mit solchen Eigenschaften und solchem Verhalten wie dem syrischen Baath-Regime konnte man eigentlich nicht realistisch erwarten, dass sie ihre Macht freiwillig und als Ergebnis friedlicher Demonstrationen, wie Teil der Syrischen Revolution von 2011, aufgeben würde. Auch konnte man von diesem Regime nicht realistisch erwarten, dass es freiwillig seine Macht aufgeben würde als Ergebnis eines heftigen Stellvertreterkrieges auf Syriens Territorium – ein Krieg, der angefeuert und militärisch und finanziell unterstützt wurde von regionalen Proxys wie der Türkei, Saudi Arabien und Katar als auch westlichen Ländern wie den USA, Großbritannien und Frankreich. In meinem Buch „The Struggle for Power in Syria“ habe ich schon vor zwei Jahrzehnten vorausgesagt (und das war nicht besonders schwierig), dass jedes Bemühen, einen Regimewandel zu produzieren, zu enormem Blutvergießen führen müsse. Und genau das ist es, was wir in den letzten sieben Jahren, seit dem Beginn der Syrischen Revolution, gesehen haben und heute noch sehen. Diejenigen, die kein großes Blutbad erwarteten, litten entweder an einem Mangel genügender Geschichtskenntnisse über Syrien oder an gut überdosiertem Wunschdenken — oder beidem.
Wie kam es, dass so viele ausländische Politiker so naiv erwartetet haben, dass Präsident Baschar al-Assad freiwillig von seinem Amt zurücktreten würde, nachdem den Berichten nach alle möglichen Gräueltaten vom syrischen Regime gegen die sogenannten friedlichen Demonstranten und später gegen die militärischen Oppositionsgruppen begangen worden waren? Sie wollten, dass Assad sein Todesurteil freiwillig unterschreibt, weil aus ihrer Sicht der rechtlich legitime Präsident von Syrien seine Legitimität verloren hatte. Dies war völlig unrealistisch, und zwar in dem Sinne, dass das, was ihren Wünschen nach hätte geschehen müssen, auch wenn es gerechtfertigt gewesen sein könnte aus ihrer Perspektive auf Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit, doch hochwahrscheinlich nicht umsetzbar war.
Wunschdenkende hofften, dass al-Assad abdanken würde oder sogar das Land verlassen würde, um die Krise lösen zu helfen, so bald genügend moralischer Druck ausgeübt würde von Staaten, die ihn geächtet hatten. Aber das Gegenteil passierte, was man auch hätte vorhersehen können, weil man über Diktatoren im Allgemeinen weiß, dass sie nicht die Regeln der demokratischen Rechenschaftspflicht befolgen.
Hier geht es um den Kontrast zwischen dem demokratischem System und der Diktatur: In Demokratien können die Menschen ihre Gedanken frei ausdrücken. Sie betonen daher, wie Dinge ideal sein sollten, im Sinne von Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit. Die brutale Wirklichkeit als fait accompli zu akzeptieren, wird oft als Verrat an Prinzipien und Menschenrechten gesehen. Aber diese Prinzipien in die Realität umzusetzen, ist oftmals etwas anderes. Wenn eine Demokratie eine Diktatur konfrontiert, sind parlamentarische Debatten oft nicht von Nutzen. Das gleiche gilt für das Verkünden von Deklarationen zu Prinzipien seitens Regierungen, Parlamenten oder dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, egal ob die Inhalte gerechtfertigt oder richtig sind. Wenn Demokratien Diktaturen wie das syrische Regime konfrontieren, dann ist die Chance eines positiven Ergebnisses möglicherweise höher bei Gesprächen als bei der Verweigerung von Kommunikation mit dem Regime. Die Weigerung der meisten westlichen Regierungen während der letzten sechs Jahre mit dem syrischen Regime zu kommunizieren (seit Beziehungen im 2012 abbrachen), sind auch vom Gedanken motiviert, dass solche Kontakte von den Unterstützern der demokratisch gewählten Führungen nicht gewollt sind. Diese Führungen sind ihren Wählerschaften gegenüber rechenschaftspflichtig und die allgemeine negative Haltung dieser Wählerschaften zu Kontakten ist ganz verständlich wegen der Verbrechen des Regimes.
Eine politische Isolation des Damaskus-Regimes konnte aber nur in Aussichtslosigkeit münden.
Die Alternative war, das syrische Regime militärisch zu besiegen, wonach dann nicht mehr verhandelt hätte werden müssen. Eine solche direkte militärische Intervention wurde ebenso von den involvierten Demokratien abgelehnt.
Dennoch wählten verschiedene westliche und arabische Regierungen als Alternative die direkte militärische Intervention durch Bewaffnung, Finanzierung und politische Unterstützung der verschiedenen syrischen Oppositionsgruppen, was jedoch, wie sich zeigte, nicht reichte, um das Regime zu stürzen. Und ich lasse hier außen vor, ob ein alternatives Regime viel besser gewesen wäre, da eine Demokratie ein hoch unwahrscheinliches Ergebnis gewesen wäre [, denn die Alternative wäre sehr wahrscheinlich eine Regierung der zunehmend die bewaffnete Opposition dominierenden radikalen Islamisten gewesen. – Ergänzung des Autors.] Die meisten ausländischen Regierungen behaupteten, dass sie eine politische Lösung wollten, was im Prinzip so stimmt. Jedoch wollten sie nur eine politische Lösung, die zu einem Regimewechsel führen würde. Und ein solcher sollte sich als unmöglich erweisen im Kontext unzureichender militärischer Mitteln. Diese militärischen Interventionen bedeuten eigentlich einen Verstoß gegen internationales Recht, das den Mitgliedern der Vereinten Nationen untersagt, militärische Aktionen zu unterstützen, die zum Sturz einer Regierung eines Mitgliedsstaates, führen. (1) Die Ergebnisse indirekter militärischer Intervention waren genauso ruinös wie die einer direkten militärischen Intervention gewesen wären: insbesondere fast eine halbe Million Tote, Millionen Geflüchteter, ein Land in Schutt und Asche und eine in großem Ausmaße zerstörte Nation.
Es scheint widersprüchlich, ausländischen Staaten den Vorwurf zu machen, dass sie nicht genügend Unterstützung für den Sturz des Regimes geliefert hätten, während man gleichzeitig gegen jegliche militärische Intervention ist. Ich möchte daher klären, was ich meine. Ich bin im Allgemeinen vehement gegen militärische Interventionen, weil es so viele Beispiele gibt, die illustrieren, dass diese meist in einem Trauerspiel enden. Ich behaupte, dass die Länder, die die bewaffnete Opposition ermuntert haben, das syrische Regime zu konfrontieren, ohne diese jedoch genügend zu bewaffnen oder ihre militärischen Aktionen koordiniert zu haben, die bewaffnete Opposition in die Todesfalle sendeten.
Als ich im Mai 2011, als die syrische Revolution noch nicht einmal zwei Monate alt war, in einem Interview gefragt wurde, ob ich es noch akzeptabel für andere Regierungen fände, direkte Kontakte mit Präsident Baschar al-Assad zu unterhalten, weil ja schon Hunderte Tote die Folgen repressiver Aktionen des Regimes waren und Tausende Menschen inhaftiert waren, erwiderte ich, dass die Antwort davon abhänge, wie pragmatisch man sich verhalten wolle. Ich kam zum Ergebnis, dass, eine Ablehnung von Engagement und Dialog eine Beteiligung an positiver Konfliktlösung ausschlösse. (2)
In Fernsehsendungen anlässlich des ersten Jahrestages der Syrischen Revolution im März 2012 wiederholte ich meine Haltung, dass Dialog für jegliche Konfliktlösung wichtig wäre. Vertreter der syrischen Opposition lehnten das total ab. Ich argumentierte, dass wenn ich eine Wahl hätte – und natürlich ging es dabei nicht eigentlich um meine Wahl –, würde ich 10.000 Tote (die damalige Anzahl der Todesopfer) 300.000 vorziehen, die mögliche Anzahl bei weiterem Krieg ohne Gespräche und Verhandlungen mit dem Regime mit dem Ziele einer Konfliktlösung. (3) Tatsächlich ergab sich, dass die Zahl der Toten viel höher als 300.000 war. Aber in 2012 schien das noch unvorstellbar.
Natürlich gab es keine Garantie für Erfolg durch Dialog, den ich vorschlug. Aber jegliche Ablehnung von Dialog war eine Garantie für das Versagen, wie wir es die letzten sieben Jahre beobachten konnten.
Die meisten der syrischen Oppositionellen waren damals nicht bereit, Verhandlungen mit dem Regime zu akzeptieren – nicht nur wegen ihrer extrem negativen Gefühle [vom Autor für diese Übersetzung präzisiert] gegenüber dem Regime, sondern auch, weil sie starke Unterstützung aus dem Ausland erwarteten, wie es in Libyen der Fall war und zu Niederlage und Tod des libyschen Führers al-Gaddafi führte.
In der damaligen Hoffnung, Unterstützung aus dem Ausland zu bekommen, versuchten viele Demonstranten über die Medien die internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch diese erwartete Unterstützung blieb aus.
Zurückschauend, und rein theoretisch betrachtet, hätten viele Syrier vielleicht nicht die Syrische Revolution gestartet, wären sie sich der fatalen Konsequenzen vorher bewusst gewesen. Aber die Realität sieht anders aus.
Im Jahr 2013, als die syrischen Kräfte der bewaffneten Opposition verkündeten, sie hätten über 70 Prozent des Territoriums von Syrien unter Kontrolle bekommen und in Siegerstimmung waren, schlug Scheich Moas al-Chatib, der frühere Präsident des Syrian National Council mit Sitz im Ausland, vor, mit Präsident al-Assad und Russland über eine Lösung des Konflikts auf der Basis eines Zwanzig-Punkte-Plans zu verhandeln. In diesem Plan schlug al-Chatib vor, dass Assad zusammen mit von ihm ausgewählten 500 Verbündeten das Land verlassen und sein Amt an Vizepräsident Faruk al-Scharaa übergeben solle.
Es überraschte nicht, dass das Regime an al-Chatibs Vorschlag nicht im Geringsten interessiert war, da er den Rücktritt von Präsident al-Assad und Schlüsselfiguren seines Regimes forderte. Bemerkenswert ist, dass verschiedene Mitglieder der syrischen Opposition ihn auch ablehnten und als einen Akt von Verrat betrachteten, für den Scheich al-Chatib schwer bestraft werden sollte. Im Januar 2018 erinnerte Scheich al-Chatib seine früheren Kritiker an ihre damalige ablehnende Haltung, denn fünf Jahre später, als die militärische Opposition schon stark geschwächt war, gingen verschiedene von ihnen nach Russland und wollten unter russischer Schirmherrschaft verhandeln, d.h. tun, was sie doch früher laut abgelehnt und kritisiert hatten. (4)
Dass Vorschläge abgelehnt werden, die zu früheren Zeiten als Hochverrat galten, später aber, mit etwas Einsicht, doch ernsthaft hätten untersucht werden müssen, scheint sich zu wiederholen.
Das erinnert mich an den Vorschlag des tunesischen Präsidenten Habib Bourguiba, der im März 1965 die arabischen Staaten anmahnte, im Gegenzug für Verhandlungen im Geiste des Teilungsplanes für Palästina, (adoptiert am 29. November 1947) Israel anzuerkennen. Er schlug vor, dass die Araber die Teilung von Palästina akzeptieren sollten und forderte eine sofortige Ausrufung eines palästinischen Staates. Die Reaktion der meisten arabischen Staaten war damals, dass dies eine Art von Hochverrat darstelle. Ägyptens Präsident [Gamal] Abdal Nasser verkündete, dass Bourguibas Vorschlag ein Verrat an arabischem Nationalismus und Panarabismus darstellten und nur Israel und der zionistischen Bewegung dienen würde. Bourguiba erwiderte, dass‚ ‚was die Araber heute erreichen könnten, ist morgen nicht mehr greifbar‘. Und wie sich herausstellte, hatte er recht. Aber zu jener Zeit war es für die meisten der arabischen Führer unmöglich, Bourguibas Ideen wegen genuiner Gefühle für Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit zu akzeptieren.
Israel sah den Vorschlag als ‚bedeutend und würdig einer sorgfältigeren Betrachtung‘ an, aber wies letztlich Bourguibas Ideen zurück, weil es sich weigerte, Gebiete abzutreten – genauso wie bei einem ähnlichen Vorschlag 37 Jahre später in Form der Arabischen Friedensinitiative von 2002. Im Jahr 1965 konnte es Israel jedoch egal sein, denn die Araber hatten den Vorschlag schon selber abgelehnt und die Idee in ihren eigenen Kreisen im Keime erstickt.
Den Initiativen von Bourguiba im Jahr 1965 und von Moas al-Chatib im Jahr 2012 ist gemeinsam, dass sie von ihren eigenen Kreisen abgelehnt wurden und daher nie eine Chance hatten, ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden. Beide wurden nicht annähernd richtig geprüft, ihre Lösungswege nicht erkundet. (5) Was zu einer früheren Zeit als verräterisch betrachtet wurde aufgrund authentisch existierender Gefühle und Emotionen über das was rechtens und richtig ist, konnte später – nach Jahren von Krieg, Gewalt und Elend – vielleicht als relativ vernünftig und staatsmännisch eingeschätzt werden. Und mit dem Fortschreiten der Jahre werden authentische Gefühle und Emotionen über das, was rechtens und richtig ist, vielleicht im Lichte der neuen Realitäten vor Ort schwächer werden.
Was den Syrien-Krieg betrifft, war es so, als ob zwei parallele Welten existierten. In der einen Welt walten die wahrgenommenen Gefühle von Gerechtigkeit. Wünsche hinsichtlich dessen, was richtigerweise passieren sollte, wurden formuliert. Die Möglichkeiten – oder Hindernisse – diese Wünsche real werden zu lassen, wurden jedoch nicht immer in Betracht gezogen oder auch nicht akzeptiert. Das begehrte Ziel war klar, nicht aber der Weg dorthin.
In der anderen, der zweiten Welt, war und ist Syrien schon immer eine der harschesten und grausamsten, wenn nicht die größte brutale Wirklichkeit gewesen. In dieser zweiten Welt lag das Hauptaugenmerk auf dem Problem des politischen und physischen Überlebens des Regimes und des An-der-Macht-Bleibens, egal, was es kosten würde.
Viele westliche und arabische Politiker leben noch immer in der ersten Welt, der Welt des idealen Syrien, nicht in der Welt der syrischen Realität oder was aus Syrien geworden ist als Resultat des blutigen syrischen Krieges. Diese Welt ist die der prinzipientreuen Deklarationen von Absichten, die wegen fehlender militärischer Macht oder fehlenden politischen Willens nicht implementiert werden – speziell wegen des fehlenden Willens, die Prinzipien dieser Deklarationen durchzusetzen, egal ob diese auf nationaler Ebene oder auf der Ebene des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen herausgebracht werden. (Erinnert sei an Aleppo und Ost-Ghouta.)
Es ist eigentlich unnötig zu erwähnen, dass diejenigen, die sich mit begrenztem Willen und begrenzten Mitteln dem syrischen Regime entgegenstellen, sich auch begrenzte Ziele setzen müssen, wollen sie auch nur etwas von dem erreichen, was sie sich vorgenommen haben. Jedoch scheinen nach sieben Jahren blutigen Krieges und gut über 450.000 Toten viele westliche und arabische Politiker noch beträchtlich von Wunschdenken irrgeleitet zu sein. Und infolgedessen wird der Konflikt in Syrien weiterhin vom vermeintlichen moralischen Zeigefinger her angegangen. Sie sind noch immer nicht bereit, die nackte Wahrheit zu akzeptieren, dass man mit unzureichendem Willen und unzureichenden Mitteln nur unzureichende Ergebnisse erreichen kann. Ausländische Regierungen können diese Regel entweder ignorieren oder so tun, als ob sie sich dessen nicht bewusst sind. Indem sie auf ethischen und politischen, sogenannten korrekten Ideen von Gerechtigkeit bestehen, ohne jedoch die dafür notwendigen Mittel zur Umsetzung dieser gerechten Ziele bereitzustellen, helfen verschiedene westliche und arabische Politiker indirekt, den Krieg mit all seinen Toten, Flüchtlingen und seinem Ausmaß an Zerstörung fortzusetzen.
Und was nutzt uns die moralische Überlegenheit, wenn sie zu mehr Toten, mehr Zerstörung und mehr Flüchtlingen führt, dazumal in einem Krieg, der noch nicht einmal ansatzweise gewonnen und nicht annähernd auf dem Wege ist, die verkündeten Ziele einer neuen, pluralistischen, säkularen, demokratischen und zivilen syrischen Gesellschaft zu erreichen, sondern stattdessen die deutliche Gestalt eines Kriegs ohne Erfolg annimmt?
Aus meiner Sicht wäre es besser gewesen, wenn sich die ausländischen Kräfte nicht in den syrischen Krieg eingemischt hätten und außen vor geblieben wären, statt zu versuchen, eine Lösung mit unzureichenden militärischen Mitteln durchzudrücken, deren Folgen wir heute sehen.
Wäre es nicht an der Zeit, zuzugeben, dass der Kriege gegen das syrische Regime nahezu verloren ist? Und wenn das Ergebnis schon recht klar ist, worin besteht denn dann der Sinn des Weitermachens und weiteren Blutvergießens? Oder wollen etwa die Länder, die am Krieg per Stellvertretung teilgenommen haben, den Krieg mit alle seinen Toten, Flüchtlingen und der Zerstörung zu Lasten des syrischen Volkes weiterführen? Möchten sie etwa der Opposition ein paar Druckmittel in zukünftige Verhandlungen mitgeben, obwohl praktisch gesehen eigentlich nicht mehr viel zu verhandeln ist, wenn man die militärischen Machtverhältnisse in Betracht zieht? Oder wollen sie in Syrien bleiben aufgrund eines Wettkampfes um die Vormacht in der Region?
Einige Leser und Leserinnen werden über diese Vorschläge, den Krieg zu beenden, außer sich sein und mit großer Empörung aufschreien, dass es Verrat wäre, jetzt aufzugeben nach all den Bemühungen um den Sturz des Regimes. Andere werden vielleicht sagen, dass halbherzige ausländische Unterstützung für die militärische Opposition einem Verrat gleich kommt, der auf Kosten des syrischen Volkes geht. Und andere wiederum mögen den Slogan ‚ Lieber tot als erniedrigt‘ (6) rufen, können aber nicht im Namen aller jener Syrier sprechen, die ohne ihre Zustimmung oder sogar gegen ihren Willen in diesen Krieg hinein gezogen und Opfer des Krieges wurden. Den Kampf aufzugeben könnte heißen, dass alle Bemühungen umsonst waren.
Frédéric Pichon hat sein jüngstes Buch zum Syrien-Krieg „Une guerre pour rien“ (etwa ‚Ein Krieg um nichts ‘) (7) betitelt. Tatsächlich ist es aber noch viel schlimmer, denn dieser Krieg war nicht nur umsonst, weil keines der Ziele der Opposition erreicht worden sind, sondern weil er Syrien um Jahrzehnte in die Vergangenheit zurückversetzt und irreparable Verluste und gesellschaftliche Schäden verursacht hat.
Am Anfang des Konflikts, der im Jahr 2011 ausbrach, wäre es möglicherweise leichter gewesen eine politische Lösung zu erzielen, was später nicht mehr möglich war. Mehrere Länder, einschließlich der Türkei und Saudi Arabien sowie die Arabische Liga und andere Länder strengten sich in der Tat sehr an, eine Lösung zu finden. Ab August 2011 jedoch begannen verschiedene ausländische Führer, einschließlich Präsident Obama und andere westliche politische Führer, Baschar al-Assad zum Rücktritt aufzufordern und verfolgten diesen Plan seitdem weiter, wenn auch in jüngster Zeit mit einigen Variationen.
Im Dezember 2017 hat z.B. der französische Präsident Macron fast sieben Jahre nach dem Beginn der Syrischen Revolution und nachdem klar war, dass Assad nicht freiwillig gehen würde – nicht zuletzt, weil es so aussah, als ob er den Krieg gewinnen kann – wie folgt formuliert:
“Wir müssen mit allen sprechen… wir müssen mit Baschar al-Assad und seinen Vertretern sprechen … danach muss sich Assad für seine Verbrechen vor seinem Volk und vor der internationalen Justiz verantworten.“ (8)
Während er damit zugab, dass Gespräche mit Assad unvermeidlich waren, konnte sich Macron sicher sein, dass der syrische Präsident die neue französische Position ablehnen würde, da Macron dafür stimmte, Assad vor das internationale Gericht zu bringen.
Dieselbe Formel, wiederholt angewendet, hat garantiert, dass keine wirklichen Verhandlungen stattfinden würden. Obwohl diese Formel für seinen Gerechtigkeitsanspruch gewürdigt werden muss, ist sie ein schlechtes Rezept, ein ‚non-starter‘, geblieben.
In ähnlichem Wandel von Positionen machte die US-Administration im Dezember 2017 deutlich, dass sie bereit sei, Präsident al-Assads Herrschaft bis zu den nächsten geplanten syrischen Präsidentschaftswahlen 2021 zu dulden. Gleichzeitig blieb die Trump-Administration aber dabei zu verkünden, dass sie einen politischen Prozess wolle der Assads Rücktritt in Aussicht stellte.
Wenn Baschar al-Assad seinerseits erklärt hätte, dass er Präsident Trump bis zu den nächsten US-amerikanischen Wahlen im Jahr 2020 in seiner Position akzeptieren würde, hätte das für viele lächerlich geklungen. Aber ähnliche Bemerkungen von Präsident Trump sind ernst genommen worden, obwohl die USA während der letzten sieben Jahre beim Stürzen des Assad-Regimes erfolglos war. Und je nach Ausgang der Wahlen von 2020 sollte man nicht ausschließen, dass Assad Donald Trump als Präsident im politischen Amt überlebt. (9)
Die Position von Katar, einem der langjährigen zentralen Unterstützer der zivilen und militärischen Opposition, änderte sich auch im Oktober 2017, insbesondere nachdem die anderen Staaten des Golf-Kooperationsrates unter der Anschuldigung, dass Katar die organisierten Terroristen in Syrien unterstützt hätte, Sanktionen gegen das Land verhängten. Der frühere Premierminister und Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Scheich Hamad ibn Dschasim Al Thani gestand daraufhin, dass Katar die syrische Oppositionen früher vollends mit Saudi Arabien koordinierten und alle gemeinsame Unterstützung über die Türkei gelaufen sei, wo weitere Waffenauslieferungen an die Opposition mit den Vereinigten Staaten, zusammen mit der Türkei und Saudi Arabien koordiniert worden waren. Scheich Hamad stritt ab, dass es irgendeine Unterstützung von Katar für den Islamischen Staat gegeben habe. Einige von Katars Waffen sind jedoch anscheinend in die Hände von Dschabhat an-Nusra, der mit al-Qaida affiliierten Gruppe, gelangt. Als das bekannt wurde, wurde Unterstützung, so sagte Scheich Hamad Al Thani, für Dschabhat an-Nusra gestoppt.
Saudi Arabien und Katar hatten sich auf das, was Scheich Hamad Al Thani ‘die Befreiung Syriens’ nennt, konzentriert. Als aber die zwei Staaten miteinander in Streitigkeiten über ihre gemeinsame ‘Beute’ (womit Hamad Al Thani Baschar al-Assad und das syrische Regime meinte) gerieten, entwischte ihnen ihre Beute. Scheich Hamad fügte hinzu, dass es okay wäre, wenn al-Assad im Amt bliebe, solange die Saudis einverstanden wären. Katar war ursprünglich eigentlich mit al-Assad befreundet. Scheich Hamad kritisierte, dass es keine konsequente Politik zwischen Katar und Saudi Arabien gegeben hätte; er hätte aber trotzdem nichts gegen einen Kurswechsel, falls vergangene politische Linien sich als Fehler erwiesen hätten. (10) Dieser Linienwechsel trat ein, nachdem es mehr als 450.000 Todesopfer gab und war anscheinend das Ergebnis eines Disputs zwischen Katar und Saudi Arabien und nicht eines spontanen Perspektivenwechsels oder gar Resultat besonderer Sympathien für das syrische Volk.
Was die Verhandlungen angeht, ist die syrische Opposition schon seit mehreren Jahren mit dem syrischen Regime durch aufeinander folgende UN-Gesandte [die sogenannten Special Envoys] für Syrien im Gespräch. Aber die Opposition begann mit Vorbedingungen, die ernsthafte Verhandlungen unmöglich machen, weil sie als Voraussetzung forderte, dass Präsident al-Assad und diejenigen in seinem Regime, die Blut an den Händen hätten, zurücktreten müssten und von jeglicher Rolle in Syriens Zukunft ausgeschlossen sowie vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollten. Diese Forderungen, so völlig nachvollziehbar sie auch scheinen mögen, waren unrealistisch, weil sie garantieren, dass jegliche Kompromisse und ernsthafte Verhandlungen mit dem Regime ausgeschlossen sind. Darüber hinaus ist das Schicksal des Präsidenten al-Assad überhaupt nicht im Genfer Communiqué (2012) erwähnt, einem der internationalen Eckpfeiler unter den Dokumenten der Verhandlungen zwischen Regime und Opposition.
Sollten sich nach mehreren Jahren Blutvergießens einige arabische und westliche Regierungen für einen Kurswechsel entscheiden und bestimmen, dass al-Assad der Machthaber von Syrien bleiben solle sowie es auch weiterhin für opportun halten, Beziehungen zu reetablieren und wieder ihre Botschaften in Damaskus zu eröffnen, dürfen sie nicht davon ausgehen, dass das syrische Regime sie wieder willkommen heißen würde. Ganz im Gegenteil, solche Ouvertüren würden zunächst ganz bestimmt zurückgewiesen werden, bis die politischen Konten ausgeglichen wären, denn das Regime sieht in der ausländischen Einmischung und Unterstützung für die bewaffnete Opposition prinzipielle Gründe dafür, dass der syrische Krieg so lange angedauert hat.
Jegliche ausländische Hilfe für den Wiederaufbau würde nur in regierungskontrollierten Gebieten mit der Genehmigung des Regimes zugelassen werden. Jede Bemühung des Wiederaufbaus in Gebieten, die nicht unter der Kontrolle des Regimes sind, laufen Gefahr unter Feuer zu geraten, sollte das Regime künftig diese Gebiete zurückerobern.
Was vielleicht durch Dialog mit dem Regime in den früheren Phasen der Syrischen Revolution hätte erreicht werden können, ist zunehmend schwierigerer geworden mit verstrichener Zeit und mit all den Ereignissen und der Zerstörung, die passiert sind. Je länger der Krieg andauerte, desto schwieriger ist es geworden, zu verhandeln und Kompromisse zu erzielen.
Man könnte nun argumentieren, dass das Regime nie an einem Dialog interessiert war, der zu wirklichem politischen Wandel oder Reform geführt hätte. Aber das ist meines Erachtens nie lange genug versucht worden. Die ernsthaften Bemühungen zu Beginn hätten weitergeführt werden sollen. Manchmal muss man sich ernsthaft bemühen, auch wenn man von den Erfolgsaussichten nicht ganz überzeugt ist.
Was die Millionen von syrischen Flüchtlingen betrifft, würde man logisch erwarten, dass die meisten nach Syrien zurückkehren werden, sobald der Krieg vorbei ist. Aber die Realität könnte etwas anders aussehen. Besonders den Flüchtlingen, die unter Verdacht stehen, aktiv gegen das Regime gearbeitet zu haben – und die meisten von ihnen sind Sunni – könnte die Rückkehr verweigert werden, und bestimmt solange die wirtschaftlichen Aussichten des Landes schwach sind.
Syrien-Experte Fabrice Balanche schlägt vor, dass Präsident al-Assad die Rückkehr der Millionen Flüchtlinge gar nicht möchte, weil Syrien schon vor dem syrischen Krieg, der 2011 begann, überbevölkert war und unter verschiedenen wirtschaftlichen Problemen, Wassermangel, und anderem litt, d.h. Faktoren, die wiederum Auslöser der Syrischen Revolution waren. Die Verweigerung der Rückkehr von Millionen von syrischen Flüchtlingen könnte aus dieser Sicht Syrien die Möglichkeit eines Neubeginns geben – mit einer kleineren Bevölkerung die, aus der Sicht des Regimes, Syrien ‚ein bisschen Luft verschaffen könnte‘ . (11) Darüber hinaus darf erwartet werden, das Flüchtlinge, die nach Syrien zurückkehren wollen, ihre Loyalität gegenüber dem Regime zeigen müssen bzw. beweisen müssen, dass sie nichts gegen das Regime vorhaben. All das könnte eine starke demographische Verschiebung zum Nachteil der syrischen Sunni nach sich ziehen. Obwohl andere Faktoren auch eine Rolle spielen, darf – wie Fabrice Balanche überzeugend gezeigt hat –darf die Kluft zwischen den Religionsgemeinschaften in Syrien nicht ignoriert werden, da sie ein Schlüsselfaktor ist. Die Oppositionsgebiete sind überwiegend von Sunni dominiert, während die Gebiete, in denen zahlenmäßig die Minderheiten dominieren, pro-Regime sind. (12) Diese Kluft hat ernsthafte Konsequenzen für die Zukunft, sobald der syrische Krieg vorüber ist.
Bemerkenswert ist auch, dass es bisher keinerlei Kompromiss zwischen dem syrischen Regime einerseits und der Opposition, welche sich im Lande aufhält, andererseits gegeben hat. Manche Oppositionsführer, die ursprünglich im Lande aktiv waren, wie z.B. Louay Hussein, Führer der Building the Syrian State, sind in Abwesenheit zu langjähriger Haft verurteilt worden, was es für sie schwieriger gestaltet, zurückzukehren. Prominenten Oppositionsmitgliedern im Ausland, die öffentlich ihre Opposition gegen das Regime bekundet haben und zurückkehren wollten, wurde die Einreise in ihr Heimatland verweigert, aber es gibt auch Ausnahmen. (13)
Bis jetzt habe ich kaum über die Rollen von Russland und Iran im Konflikt gesprochen und werde dies auch nur kurz tun. Die US-amerikanische und britische Invasion des Irak im Jahr 2003 hat zu Krieg geführt, dessen Ende nach 15 Jahren immer noch nicht in Sicht ist. Durch die Beseitigung von Saddam Hussein haben sie Iran einen roten Teppich ausgerollt, auf dem das Land seinen Einfluss in Irak, Syrien, Libanon und anderswo im Nahen Osten ausweiten kann.
Die direkten und indirekten ausländischen militärischen Interventionen in Syrien haben die Stärkung der russischen Position beträchtlich verursacht. Der hauptsächliche Grund für Russlands Intervention war, seinen Verbündeten, das Regime, an der Macht zu erhalten. Ohne ausländische Interventionen in Syrien, die einen Regimewandel herbeiführen wollten, hätte Russland keinen Grund gehabt so einzugreifen, wie es das seit 2015 tut.
Was hätte das Regime von einer politischen anstelle einer militärischen Lösung? Das Regime kann nicht ewig an der Macht bleiben und sollte daher daran interessiert sein, ein neues Syrien zu schaffen, welches inklusiv für alle Syrer ist – auf eine Weise, die eine neue Revolution oder einen Ausgleich politischer Konten in Form von Revanche ausschließt. Das Regime hätte schon längst daran arbeiten sollen, bevor es zur Revolution gekommen war – oder unmittelbar danach. Aber Baschar al-Assad und seine Unterstützer wählten den Weg der gewalttätigen Unterdrückung.
Syrien-Experte David Lesch schlägt vor, dass al-Assad am Anfang der Revolution mit sich haderte, was die Wahl zwischen einer eher nachsichtigen Herangehensweise und einem gewalttätigen Crackdown durch die Regierungstruppen betrifft. Es war eine schicksalhafte Entscheidung, nicht ernsthaft Reformwege und Aussöhnung versucht zu haben – gleich zu Anfang, aber ganz bestimmt unter dem Blickwinkel der jetzigen Zerstörung. (14) Jedoch ist nicht sicher, dass Ankündigungen von Reformmaßnahmen durch den Präsidenten wirklich die Demonstranten zufrieden gestellt hätten beim gleichzeitigen Weiterbestehen der syrischen Diktatur, waren die Demonstranten doch überwältigt von Enthusiasmus infolge vom sogenannten Arabischen Frühling in Tunesien, Ägypten und Libyen, wo die Präsidenten aus ihren Ämtern entfernt wurden.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es viel schwieriger geworden drastische Reformmaßnahmen zu erzielen. Das ist aber kein Grund, sie nicht ernsthaft erreichen zu wollen. Doch bleibt es zweifelhaft, ob das Regime ernste Anstrengungen in dieser Richtung machen wird, weil das auch implizieren könnte, ihre eigene Stellung zu unterwandern, wie es auch schon am Anfang der Syrischen Revolution der Fall gewesen wäre.
Wogegen der Schlüssel zur Stärke des Regimes in den Gemeinsamkeiten bei Religionsgemeinschaft, Region, Familie oder Stamm der hauptsächlichen Baath-Herrscher lag, stellt ihr alawitischer Hintergrund auch eine ihrer inhärenten Hauptschwächen dar. Der ‘ alawitische Faktor’ behindert eine friedliche Transformation der syrischen Diktatur in ein breiteres repräsentatives Regime. Dieser alawitische ‘Gordische Knoten’ sollte daher zerschlagen werden, um Vertrauen zwischen allen Bevölkerungsgruppen Syriens –unabhängig von religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit – aufzubauen.
Doch bezweifle ich stark, dass das Regime auf das Durchschlagen des alawitischen ‚Gordischen Knotens‘ vorbereitet ist, denn er war bisher immer essentiell für sein Überleben.
Aus diesem Grunde sehen die Zukunftsaussichten für einen syrischen Frieden sehr düster aus, auch wenn das Regime den Krieg gewinnen wird – und wonach die Lage aussieht.
[End]
* Nikolaos van Dam ist Syrien-Experte und diente als Botschafter des Königreichs der Niederlande in Indonesien, Deutschland, der Türkei, Ägypten und Irak. Er war der niederländische Special Envoy für Syrien 2015-16. Sein jüngstes Buch trägt den Titel ‘Destroying a Nation: The Civil War in Syria’ (London: I.B. Tauris, 2017).
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[1] Jeffrey D. Sachs, ‘Ending America’s disastrous role in Syria’, Project Syndicate, The World’s Opinion Page, 16 February 2018. https://www.project-syndicate.org/commentary/ending-disastrous-american-role-in-syria-by-jeffrey-d-sachs-2018-02
[2] ‘Dictatoriaal glamourechtpaar’, Vrij Nederland, 21 May 2011’. Interview with Harm Botje. https://www.vn.nl/dictatoriaal-glamourechtpaar/
[3] https://programma.bnnvara.nl/pauwenwitteman/media/88810, Pauw & Witteman, 7 March 2012.
https://www.youtube.com/watch?v=3TYv0IU6ZAo, Aljazeerah, 15 March 2012.
[4] https://www.facebook.com/pg/Alemyavena/posts/ 26 January 2018.
‘Madha yatadamman mubadarat Ahmad Mu’adh al-Khatib?’, al-Nahar, 23 May 2012. Facebook page Ahmad Mu’adh al-Khatib, 23 May 2013 (with reactions).
[5] For other examples see Itamar Rabinovich, The Road Not Taken, Oxford, 1999.
[6] Ali Aljasem, Better Death than Humiliation, Master’s Thesis, Utrecht University, 3 August 2017.
[7] Frédéric Pichon, Syrie, une guerre pour rien, Paris, 2017.
[8] https://www.rferl.org/a/france-macron-islamic-state-syria-assad-talks/28924153.html
[9] Robin Wright, ‘Trump to let Assad stay until 2021, as Putin declares victory in Syria’, The New Yorker, 11 December 2017.
[10] Television interview of Shaykh Hamad bin Jasim Al Thani, October 2017: https://www.youtube.com/watch?v=Igwf_5fllNI
https://www.youtube.com/watch?v=9f33l30kQxg (with English translation).
[11] Fabrice Balanche, ‘Quel visage pour la Syrie de demain ?’, L’Orient-Le Jour, 30 December 2017. Balanche uses the term ‘Une Syrie « aérée »‘.
[12] Fabrice Balanche, Sectarianism in Syria’s Civil War, The Washington Institute for Near East Policy, 2018, pp. 3-30.
[13] Herausragend unter ihnen war Bassam al-Malik, Zaman al-Wasl, 14 August 2017. Fabrice Balanche, Sectarianism in Syria’s Civil War, p. 48, schreibt, dass im Jahr 2017 Scheich Nawwaf al-Baschir, ein mächtiges Sunni-Stammesoberhaupt, von Istanbul nach Damaskus gezogen ist. Indem er für das Regime war, demonstrierte er, dass der Baggara-Stamm seine Unterstützung nun an al-Assad versprochen hat.
[14] David W. Lesch, ‘Bashar’s Fateful Decision’, in: Raymond Hinnebusch and Omar Imady (eds), The Syrian Uprising: Domestic Origins and Early Trajectory, New York, 2018 , pp. 128-140. And David W. Lesch, Syria: The Fall of the House of Assad, London, 2013, pp. 69-86.